Wie ist es eigentlich, wenn man von einem Tag auf den anderen hochgradig sehbehindert ist? Ich denke, die Phasen, die ich durchlaufen habe, als meine hochgradige Sehbehinderung zum Tragen kam, waren: Verleugnung – Reflexion – Akzeptanz.
Als ich mich noch in der Operationsphase 2016 befand, hat man mir (vor der Grauen-Star-OP) bereits gesagt „An Ihrer Stelle würde ich mich mit der blista (Anm. Der Deutschen Blindenstudienanstalt in Marburg) in Verbindung setzen. Dies war natürlich etwas, was ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht wahrhaben wollte. Diesen Status der hochgradigen Sehbehinderung als alltäglich anzusehen war für mich undenkbar.
Dennoch war dieser Schritt unumgänglich. Und ich muss sagen: Es war eine gute Entscheidung. Ich habe durch die BTG (Blindentechnische Grundausbildung) gelernt, wieder selbstständig zu werden. Dazu zählten in meinem Fall folgende Bereiche:
- EDV (Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Arbeiten mit Windows) unter Berücksichtigung von Shortcuts, Bildschirmlupe etc.
- LPF (Lebenspraktische Fähigkeiten – dies half mir in der Tat sehr, meinen Haushalt als Person mit hochgradiger Sehbehinderung wieder ohne Hilfe schmeißen zu können)
- O+M (Orientierung und Mobilität – ein sehr wichtiges Fach, weil ich so lernte, mich trotz meiner hochgradigen Sehbehinderung draußen selbstsicher zu bewegen).
Des weiteren konnte ich meine Umschulung zum Informatikkaufmann dort absolvieren. Auch, wenn ich dazu sagen muss, dass dies alles andere als rund lief. Es fehlten Ausbilder, viel Wissen musste selbst angeeignet werden, die Räumlichkeiten waren alles andere als ausgestattet für blendempfindliche Personen mit Sehbehinderung, die Arpartments waren nicht gut durchdacht (sehr verwinkelt, keine Leitlinien, Haustüren aus Glas in Kombination mit nächtlicher Außenbeleuchtung, Mikrowelle über Kopfhöhe, LCD-Thermostat ohne Sprachausgabe, Aufzüge und elektronisch gesicherte Türen, die im Winter nicht funktionieren, Haustüren, die sich im Sommer nicht öffnen lassen – um nur ein paar Mängel zu nennen). Dennoch haben mir die 2 1/2 Jahre an der blista wieder zur Selbstständigkeit verholfen und ich bin sehr dankbar dafür.
Ich wurde oft gefragt, wie ich eigentlich mit meiner hochgradigen Sehbehinderung klarkomme. Ich würde sagen: Besser, als zu der Zeit davor. Ich stand mit meinem Visus von 0.6 (l) und 0.1 (r) praktisch noch in der Welt der normal Sehenden, aber es war doch sehr anstrengend. Die hohe Blendempfindlichkeit machte das Autofahren nicht gerade leichter. Schon damals war das Fahren des nachts äußerst schwierig für mich. Vorträge, bei denen einfach Windows-Screens mittels Beamer an die Wand geworfen wurden, waren äußert schwer bis gar nicht zu lesen. Aber es wurde natürlich von mir erwartet, mich wie ein normal Sehender zu verhalten (und ich wollte damals auch unbedingt in diese Welt gehören, weshalb ich mich zum Teil ziemlich dadurch gequält habe).
Als Mensch mit hochgradiger Sehbehinderung habe ich meinen Platz gefunden. Ich weiß, wo meine Stärken liegen, wie ich meine Schwächen kompensieren kann und welche Dinge nicht mehr möglich sind. Ich kann genauso wie vorher am Rechner arbeiten, beherrsche Windows & Office, pflege meine eigene Internetseite (in meiner Familie bin ich nach wie vor die IT-Abteilung, wenn mal was nicht so läuft, wie es soll). Ich denke, ich habe mich sehr gut mit meiner Sehbehinderung arrangiert.
Deswegen lautet mein Ratschlag an alle, die mit Einschränkungen zu kämpfen haben und nicht der Norm entsprechen: Versucht nicht, von allem das Beste zu haben, sondern macht das Beste aus allem, was ihr habt!